Rhum Agricole

Bei Rhum Agricole handelt es sich um eine besondere Art des Rum, welcher aus frischem Zuckerrohrsaft gewonnen wird. Die Rhum sind dadurch besonders floral und pflanzlich, gereifte Rhums schmecken typischerweise nach Vanille, Karamell, Honig, Mokka, Kakao, dunklen Früchten, bis hin zu Gewürzen, Tabak, Röstaromen und holzigen Noten.

Rhum Agricole Hintergrund

„Rhum agricole“ - wörtlich mit „landwirtschaftlicher Rum“ zu übersetzen - ist ein jeder Rum, der gemäß den geltenden EU-Vorschriften in den französischen Übersee-Departements Martinique, Guadeloupe, Französisch-Guayana, La Réunion und der autonomen Region Madeira aus vergorenem Zuckerrohrsaft hergestellt werden darf.

Zusätzlich und bisher als einziger ist der auf Martinique hergestellte „Rhum agricole“ noch seit 1996 mit einem weitergehenden Schutzsiegel versehen, der „Appellation d'Origine Contrôlée (AOC)“. Dies kann am besten mit „Kontrollierte Herkunftsbezeichnung“ übersetzt werden und regelt die Herstellung, Reifung und Abfüllung noch wesentlich detaillierter.

Hier darf noch auf ein interessantes Detail hingewiesen werden:
Rum französischen Stils ist nicht gleichbedeutend mit „Rhum agricole“, denn auch in den französischen Übersee-Departements wird Rum aus Melasse hergestellt, welcher dort den Namen „Rhum industriel“ trägt, aber sich dennoch nicht hinter seinem Bruder mit dem wohlklingenderen Namen zu verstecken braucht.

Woher kommt Rhum Agricole? Aus der obigen Definition und der sprachlichen Herkunft von „Rhum agricole“ lässt sich sehr naheliegend ableiten, dass der Ursprung dieses Rum-Stils in Frankreichs ehemaligen Kolonien bzw. heutigen Übersee-Departements zu suchen ist. Die Tradition des „Rhum agricole“ hat sich vor allem auf Martinique, Guadeloupe, Französisch-Guayana und La Réunion etabliert und bis heute behauptet. Darüber hinaus wird auch auf Mauritius, Haiti, Grenada und den Virgin Islands Rum aus Zuckerrohrsaft hergestellt, dieser darf jedoch die Bezeichnung „Rhum agricole“ nicht auf dem Etikett führen.

Nebenbei darf erwähnt werden, dass auch die Zuckerrohr-Spirituosen „Cachaca“ (Brasilien) und „Clairin“ (Haiti) ebenfalls frischen Zuckerrohrsaft als Basis verwenden und damit eine große Nähe zu „Rhum agricole“ aufweisen.

Hausstil

Wie schmeckt Rhum Agricole? Wer sich dafür entscheidet, einmal „Rhum agricole“ zu verkosten, wird sehr schnell erkennen, dass sich die Aromatik gänzlich von den anderen Stilen, die aus Melasse gewonnen werden, unterscheidet. Vor allem im jungen Alter dominieren pflanzliche Noten, das Spektrum umfasst den Duft nach Zuckerrohr, grünen Äpfeln, Gras, unreife Bananen und tropische Früchte, Trauben-Trester, Anis, Kräuter, Eukalyptus, Veilchen und andere blumige Noten, unterstützt von einer teilweise leichten Schärfe und auch öligen Konsistenz. Diese Aromenstruktur ist auf den hohen Gehalt an Estern zurückzuführen und sorgt für eine hohe Spannung und Komplexität bei der Verkostung. Im Zuge der Lagerung und Reifung in den Eichenfässern wird auch dieser dominante Charakter des „Rhum agricole“ etwas gezähmt und es kommen, je nach Ausbau, typische Aromen nach Vanille, Karamell, Honig, Mokka, Kakao, dunklen Früchten, bis hin zu Gewürzen, Tabak, Röstaromen und holzige Noten hinzu.

Herstellung

Der Grundstoff für alle Rum-Stile und -Sorten ist stets Zuckerrohr, ein tropisches Gras, das seinen Ursprung mitnichten in der Karibik hat, sondern in Neu-Guinea, von wo es sich über die Philippinen, Indien, China und Persien bis nach Nordafrika und Spanien verbreitete. Mit den großen Entdeckerfahrten von Kolumbus, da Gama und Vespucci kam das Zuckerrohr auch in die Karibik, wo man gute Bedingungen für den Anbau vorfand.

Heute wird das Zuckerrohr immer mehr maschinell geerntet und verdrängt die Handarbeit mit der Machete immer mehr bzw. dorthin, wo sich ein Maschineneinsatz nicht rechnet. Eines haben beide Varianten gemeinsam: die geschlagenen Halme sollten nicht länger als 24 Stunden lagern, da sonst Mikroorganismen und Bakterien auf den Halmen beginnen, den Zucker zu verstoffwechseln und zu vermindern. Nach der Ernte wird das Zuckerrohr zuerst zerkleinert, geschreddert oder/und zermalmt und anschließend mittels Walzen der Zuckerrohrsaft herausgepresst. Dieser wird meist bereits beim Pressen mit Quellwasser verdünnt, um möglichst viel Zucker aus den Fasern herauszulösen.

Hier beginnt nun der Unterschied von „Rhum agricole“ zu den anderen Rum-Stilen, die aus der Melasse gewonnen werden: der frische Zuckerrohrsaft nimmt nicht den Umweg der Zuckerproduktion, sondern wandert sofort in die bereit stehenden Gärbehälter und wird dort mit Hefe versetzt. Die Fermentation dauert dabei zwischen 24 und 72 Stunden und ergibt einen Zuckerrohrwein („vin de canne“ oder „vesou“) mit einem Alkoholgehalt von etwa 4,5-9 Vol.-%. Die anschließende Destillation erfolgt ausschließlich kontinuierlich auf einer einzigen Säule, in der Regel aus Kupfer gefertigt, die durch mehrere Plattenböden (i.d.R. mehr als 20) unterteilt ist. Der daraus resultierende Feinbrand ist ein aromareiches, schweres Destillat mit einem durchschnittlichen Ester-Gehalt von 350-400 mg/Liter. Genau diese Ester sind für den „Rhum agricole“ von entscheidender Bedeutung, da sie maßgeblich den späteren Geschmack und Charakter bestimmen.

„Rhum agricole“ wird zumeist ungereift als Rhum blanc verkauft, dabei darf dieser jedoch durchaus auch als solcher eine kurze Zeit in Holzfässern oder auch Edelstahlbehälter gelagert werden. Ein kleiner Teil wird aber auch bewusst in Holzfässer ausgebaut, zumeist in französischen oder amerikanischen Eichenfässern, die entweder neu gefertigt sind oder auch bereits mit Cognac oder Bourbon vorbelegt waren. Die Dauer der Reifung unterliegt keinen festen Gesetzgebungen, wie man es z.B. bei Whisky kennt, orientiert sich aber an den anderen hochwertigen Spirituosen mit AOC-Status aus Frankreich, wie Cognac, Armagnac oder Calvados. Dabei finden zumeist die bekannten Klassifizierungen VS, VSOP und XO Anwendung, jedoch nicht immer exakt wie in der bei z.B. Cognac gesetzlich festgelegten Norm der Reifedauer von mindestens zwei (VS), vier (VSOP) bzw. zehn Jahren (XO, seit 01.04.2018).

Die Ausnahme dazu bildet der über die AOC-Definition geregelte „Rhum agricole“ aus Martinique, denn hier sind zwingend folgende Vorgaben einzuhalten, um das begehrte AOC-Siegel zu erhalten:

  • Als Rohstoff darf ausschließlich frischer Zuckerrohrsaft verwendet werden
  • Der Anbau muss in den 23 festgelegten Regionen auf Martinique erfolgen
  • Die Ernte muss zwischen dem 01. Januar und dem 31. August erfolgen
  • Fermentationsdauer in offenen Gärtanks (<500 HL) für maximal 72 Stunden
  • Fermentationstemperatur bei maximal 38,5°C
  • pH-Wert mindestens 4,7
  • Der Alkoholgehalt nach der Fermentation muss mindestens 3,5 Vol.-% betragen
  • Destillation in Einzelsäulen mit fünf bis neun Kupferplatten, jedoch mindestens insgesamt 20 Platten- oder Glockenböden (restliche bestehen aus Edelstahl)
  • Der Alkoholgehalt nach der Destillation muss zwischen 65 bis 75 Vol.-% betragen
  • Reifung für mindestens drei Monate in Edelstahl oder Eiche
  • Der Alkoholgehalt bei der Abfüllung muss mindestens 40 Vol-% betragen

Beim AOC Rhum Martinique dürfen zudem folgende Begriffe auf dem Etikett für das Alter verwendet werden:

  • „Blanc“: Reifung für mindestens drei Monate in Edelstahl-Behältern oder Eichenfässern
  • „Elevé sous bois“: Reifung für mindestens zwölf Monate in Eichenfässern
  • „Vieux“: Reifung für mindestens drei Jahre in Eichenfässern kleiner 650 Liter Fassungsvermögen

Parallel dazu werden oft auch Begriffe wie „paille“ oder „ambre“ verwendet, die jedoch nicht gesetzlich geregelt sind und meist Reifedauern zwischen den oben genannten Begriffen bezeichnen.

Erster Anlaufpunkt bei „Rhum agricole“ ist für die meisten die Insel Martinique mit den unter anderen noch aktiven Destillerien „La Mauny“ (La Mauny, Trois Rivières), „St. James“ (St. James, Bally), „Depaz“ (Depaz, Dillon) und nicht zu vergessen: Clèment! Aber auch Rhum von Marken wie „Habitation St. Etienne (H.S.E.)“, „Neisson“, „La Favorite“ oder „Rhum J.M.“ sind einen Versuch wert.

Versprüht Martinique mittlerweile eher mondänen Charme, so steht die Insel-Gruppe Guadeloupe mehr für eine ruhigere und ländliche Idylle. Ebenso ergeht es dem „Rhum agricole“ von dort, der, anders als auf Martinique, noch nicht durch eine eigene AOC geschützt ist, aber dennoch kaum noch als Geheimtipp durchgeht. In der 1895 gegründeten „Hope Distillery“, der heute ältesten auf Guadeloupe  werden die Marken „Rhum Longueteau“ und „Rhum Karukera“ hergestellt. Die Brennerei „Bellevue au Moule“ stellt den wohl meist verkauften Rhum der Insel her: „Damoiseau“.
Aber vergessen wir die kleineren Brennereien und Marken wie Séverin, Montebello, Bielle oder Père Labat nicht, auch hier lohnt sich mehr als nur der Blick über den Zaun.

In den Weiten des Indischen Ozeans liegt noch die Insel La Réunion und auch dort wird „Rhum agricole“ hergestellt, wobei hier die Rhums der Destillerien wie „Savanna“, „Rivière du Mât“ und „Isautier“, die kleinste der Insel, besonderes Augenmerk verdienen.

Geschichte

Die Geschichte des „Rhum agricole“ begann im ausgehenden 19. Jahrhundert, als Frankreich und Europa die heimische Zuckerrübe als günstigen und ergiebigen Zuckerlieferant entdeckte. Dadurch wurden die Zuckerlieferungen aus der Karibik nach und nach überflüssig, was zu einem steten Niedergang der karibischen Zuckerindustrie führte. Da so nunmehr immer weniger Melasse aus der Zuckerproduktion anfiel, ging man zuerst versuchsweise dazu über, den Rum direkt aus dem frisch gepressten Zuckerrohrsaft herzustellen, später wurde diese Herstellungsweise zum Standard, als man nach dem ersten Weltkrieg in Frankreich vollends auf Zucker aus einheimischen Rüben umstellte.
Damit ging die Anzahl der Zuckerfabriken und einhergehend, die der Rum-Destillerien über die Jahrzehnte fast auf null zurück, jedoch wurde die Herstellung des Rums aus frisch vergorenem Zuckerrohrsaft in den französischen Kolonien auch perfektioniert und so bis in die heutige Zeit erhalten. Am Beispiel von Martinique kann dieser Niedergang von ca. 500 Destillerien um 1880 bis auf nur sieben im Jahr 2010 sehr eindrucksvoll beschreiben werden.

Heute ist „Rhum agricole“ wieder sehr angesagt und behauptet sich seinen festen Platz sowohl in den Bars wie auch beim Genießer zuhause genau wegen oder auch trotz seiner Diversität und Komplexität. Probieren auch Sie die französische Seite der Karibik!